Verantwortung für das eigene Lernen gefragt / Experimente mit neuen Formen im Unterricht

„Unsere Hausarbeiten sind toll“, sagt Lucie. Flink fliegen die Finger der 13-Jährigen über die Tasten ihres Computers. Auf dem Bildschirm zeigen sich die Gesichter von glücklichen Menschen.

Von Cornelius Bischoff VOLKSSTIMME

Salzwedel l „Glück“ ist das Thema der Projektarbeit, die sich Lucie als Hausaufgabe während der Corona-Pause der Jeetze-Schule in Salzwedel ausgesucht hat. Seit einer Woche verbringt die Schülerin täglich zwei bis drei Stunden mit der Suche nach Informationen, wie glückliches Leben gelingt. Statt Mathematik-Aufgaben zu rechnen oder Vokabeln zu pauken, setzt die Jeetze-Schule wo möglich auf Freiwilligkeit und die Motivation ihrer Schüler. Dass sich dieses Konzept auch im Zeichen des Virus bewährt, bestätigt Nadine. Letztere ist die Mutter der 13-Jährigen, die unterdessen einen Kopfhörer mit dem Computer verbindet: Über den Bildschirm flimmert ein Video-Beitrag der Film-Plattform Youtube. Ihre Gedanken fasst Lucie auf einem Notizblock zusammen.

Schüler lernen selbst zu entscheiden

Der Blick über die Schulter der 13-Jährigen bringt Erstaunliches zutage: „Glück können Menschen immer haben“, steht da. „Man kann mit fünf Jahren glücklich sein, wenn man liebe Eltern hat. Man kann mit 30 Jahren glücklich sein, wenn man heiratet oder Kinder bekommt.“

Das Lernen zu Hause ist kein Problem bei Nadine Mewes und ihrer Tochter.
Foto: Cornelius Bischoff VOLKSSTIMME

„Die Jeetze-Schule legt Wert darauf, den Kindern auch Dinge mitzugeben, die man im täglichen Leben braucht“, sagt Nadine. Ganz oben auf der Liste stehe die Fähigkeit, unabhängige Entscheidungen zu treffen. Vor einer möglichen Ausweitung der Schulschließung, die nach dem Willen der Landesregierung vorerst bis zum 19. April anhalten soll, ist Nadine nicht bange. Lucie lerne selbstständig, kümmert sich um die kleinen Geschwister und sei den Eltern eine Hilfe in der aktuellen Situation.

Tatendrang in sinnvolle Bahnen lenken

Dass nicht alle Familien die Verbannung ihres Nachwuchses in die heimische Studierstube als Glücksfall betrachten, zeigt eine Umfrage unter Passanten, die ihren schulpflichtigen Kindern einen Auslauf auf dem Rathausturm-Platz verschaffen: „Fragen Sie nicht“, sagt die Mutter einer 11-jährigen Schülerin des Jahn-Gymnasiums, während ihre Tochter sich mit beiden Händen die Augen zuhält und den Kopf schüttelt. Eine ähnliche Reaktion kommt von Tom (17), der sich eigentlich auf den Realschulabschluss vorbereiten sollte, die „Corona-Ferien“ aber lieber nutzt, um mit Freunden „abzuhängen“. Lea, die, mit einer Rosinenschnecke in der Hand, die Sonnenstrahlen auf der Parkbank genießt, sei mit der Mischung aus Online-Aufgaben und Lernblättern, die die Grundschule der Achtjährigen ausgeteilt hatte, unterfordert, berichtet die Mutti. Sie habe alle Hände voll zu tun, den Tatendrang der Zweitklässlerin in sinnvolle Bahnen zu lenken.

Ähnlich durchwachsen zeigen sich die Erfahrungen der Lehrer an verschiedenen Schulen im Stadtgebiet. Diese hatte der Corona-Ausbruch unvermutet vor die Herausforderung gestellt, die Schüler aller Klassenstufen am Lernen zu halten. „Die Prüfungen werden schließlich nicht ausgesetzt“, sagt Comenius-Schulleiter Norbert Hundt, aber das sei nur die eine Seite der Medaille. Ungeklärt ist in den meisten Fällen auch die Frage nach der Kontrolle der Hausarbeiten.

Auf der Suche nach einer Lösung, die den Ansprüchen von Schülern, Pädagogen und Eltern gerecht wird, war ein Lehrer der Comenius-Schule auf das Angebot eines Schulbuch-Verlags gestoßen: Dessen Internet-Seiten fassen Aufgaben und Lösungen der Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch für die Klassenstufen fünf bis zehn zusammen. Über zwei Monate können Schulen das Angebot kostenlos nutzen.Aufgaben auch per E-Mail verteilt

„Auch wir lernen gerade viel für die Zukunft“, bestätigt Monika Lahr. Die Sekretärin der Grundschule Jenny Marx hatte geholfen, die Arbeitsblätter zusammenzutragen, auf denen das Kollegium den Grundschülern ihre Aufgaben gestellt hat. „Längst nicht alle Familien haben einen Internetanschluss“, erzählt Lahr. Wo möglich, habe man die Aufgaben per E-Mail verteilt.

Die Korrektur der Arbeitsblätter aber sei schließlich aber eine Fleißaufgabe, der sich die Lehrer dann nach dem Abklingen der Krise stellen müssten. Ähnlich ist die Situation an der Perver-Grundschule. Auch hier seien die Hausarbeiten vorwiegend über Arbeitsblätter verteilt worden. Um den inzwischen üblichen Sicherheitsabstand einzuhalten, waren die Aufgabenpakete einzeln im Treppenhaus abgelegt worden, wo sie die Eltern nach Anmeldung einsammeln konnten.

Klassenzimmer im Internet erfolgreich gestartet

Eltern, die trotz mehrfacher Aufforderung nicht in die Schule gekommen waren, hatte die Schule klassisch mit der Post angeschrieben. „Der Aufwand ist enorm“, sagt Schulleiterin Angela Ritter-Hundt, „aber für viele unsere Schüler gibt es keine Alternative.“

Das Friedrich-Ludwig-Jahn Gymnasium setzt auch auf den Bildungsserver des Landes Sachsen-Anhalt. In speziell geschützten Bereichen des Internet-Angebots können sich Lehrer wie Schüler einwählen. „Dort hinterlegen wir die Aufgaben und Lernhilfen der einzelnen Klassen“, erzählt Michael Malinowski, der schulfachliche Koordinator des Gymnasiums.

Die Korrektur der gestellten Aufgaben richte sich nach den Möglichkeiten in den Familien. „Im Zweifel wird korrigiert, wenn wir den normalen Schulbetrieb wieder aufgenommen haben“, sagt Malinowski.

An der Jeetze-Schule hat Corona schließlich für einen Ausbruch zusätzlicher Kreativität gesorgt. Eine Lehrerin hatte im Internet ein kostenloses Angebot gefunden, um Menschen an verschiedenen Orten in Echtzeit mit Video und Ton zu verbinden, erzählt der stellvertretende Schulleiter.

„Am Donnerstag gab es Mathematik als Videokonferenzen“, freut sich Jens Winter, „und das hat prima geklappt.“ Gäbe es in der Altmark überall ein leistungsfähiges Internet, wäre das auch eine Idee für die Zukunft.

Unterdessen haben einzelne Mitglieder des Kollegiums begonnen, Unterrichtsinhalte als Video aufzunehmen. Auf die Erklär-Filmchen können Schüler per E-Mail oder über den zentralen Computer der Schule zugreifen. „Da sind wir noch am Probieren“, sagt Winter, „aber wir lernen jeden Tag Neues dazu.“

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